Warum reisen die Deutschen massenhaft nach Mallorca?

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Es gibt keine Insel, auf der die Deutschen lieber Urlaub machen würden als auf Mallorca. So viele deutsche Touristen kommen dorthin, dass das spanische Mallorca zum Leidwesen vieler Inselbewohner auch als „siebzehntes Bundesland Deutschlands“ bezeichnet wird. Es gibt deutsche Bars, deutsche Restaurants, deutsche Straßennamen und sogar deutschsprachige Zeitungen. Wie ist es dazu gekommen?

Mallorca und einige kleine spanische Nachbarinseln wurden im vergangenen Jahr von 4,6 Millionen Deutschen besucht, über sieben Prozent mehr als im Jahr zuvor. Damit sind die Deutschen die größte Gruppe von Touristen auf Mallorca. Das sind enorme Zahlen für eine Insel, die selbst nur knapp eine Million Einwohner hat. Die Treue der Deutschen zu Mallorca kennt keine Grenzen“, schrieb die deutschsprachige Website Mallorca Zeitung kürzlich.

Für viele Deutsche ist Mallorca heute ein Stück Zuhause in Übersee, aber das war in der Vergangenheit anders, erzählt Thomas Wozniak, Historiker an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Er hat ein Buch über die Geschichte Mallorcas geschrieben. „Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wurde Mallorca vor allem bei den Franzosen bekannt. Das lag an der französischen Schriftstellerin George Sand, die die Insel zusammen mit dem Komponisten Frederic Chopin besuchte.“ Sie reisten von Paris nach Barcelona, wo 1837 eine ständige Schiffsverbindung mit Palma, der Hauptstadt Mallorcas, eingerichtet worden war. „Sand war zu ihrer Zeit sehr einflussreich. Sie schrieb ein Buch über Mallorca und alle Touristen, die danach auf die Insel kamen, wollten in die Fußstapfen dieses berühmten französischen Duos treten.“

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Die Deutschen kamen erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als sich Mallorca zunehmend als Urlaubsziel entwickelte, sagt Wozniak. „Ab 1905 bildete sich auf der Insel eine richtige Touristengemeinschaft, mit Franzosen, Engländern und Deutschen. Damals ging der Trend in Europa dahin, sich in Badeorten zu erholen.

Deutsche, die einmal auf den Geschmack von Mallorca gekommen waren, blieben oft hier. Wozniak: „Im Jahr 1931 lebten bereits rund 9.000 Deutsche dauerhaft auf Mallorca. Im Vergleich dazu lebten dort mehr Engländer, aber es gab genug Deutsche, um eine eigene Wochenzeitung zu gründen.“

Viele weitere Deutsche kamen hinzu, als die NSDAP unter Adolf Hitler in den 1930er Jahren in Deutschland an die Macht kam. Die nationalsozialistische Reiseorganisation Kraft durch Freude (KdF) brachte deutsche Arbeiter zur Erholung auf die Insel. „Vor dem Regime flohen unter anderem auch Kommunisten nach Mallorca. Diese lebten in einem eigenen Viertel in Palma. Gleichzeitig gab es in Palma sehr früh auch eine Ortsgruppe der deutschen NSDAP.“ Wozniak nennt es eine absurde Situation für die kleine spanische Insel. „Die Nazis schickten während der Wahlen sogar ein Schiff nach Mallorca, damit die Deutschen von Palma aus für die NSDAP stimmen konnten.“

Der Massentourismus auf Mallorca kam auf, als die Insel 1960 einen Flughafen bekam. Wozniak: „In den frühen 1970er Jahren wurde die Boeing 747 in Betrieb genommen, ein Flugzeug, das Mallorca in einem Zug anfliegen konnte. Das hat den Tourismus völlig verändert. In rasantem Tempo baute die Insel Infrastruktur und Hotels. Die Deutschen und die Briten wetteiferten: Wer konnte die meisten Touristen nach Mallorca bringen?“

1993 schimpfte die Bild-Zeitung über Spanien und schrieb, dass Mallorca der 17. deutsche Staat werden würde. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Dionys Jobst hatte der Zeitung erzählt, Deutschland wolle die Insel für 50 Milliarden D-Mark kaufen. Die Meldung ging um die Welt. „National war es als Scherz gemeint, aber international fand es niemand lustig“, sagt Wozniak. „Sogar der spanische König informierte Deutschland, dass Mallorca nicht zum Verkauf stehe.“

Bestimmte Teile der Insel seien jedoch völlig „verdunkelt“ worden, erklärt Wozniak. „Der Strandabschnitt mit der Promenade, der auf Spanisch Balneario 6 heißt, ist heute besser bekannt als ‚Ballermann 6‘, eine deutsche Verballhornung.“ Er ist zur Heimat der Deutschen geworden, wo Deutsch gesprochen wird, Bratwurst und Bier für die Gäste bereitstehen und deutsche Lieder wie ‚Mallorca mein Zuhause‘ zu hören sind. „In diesem Viertel gibt es sogar eine ‚Schinkenstraße‘. Sicherlich ist so ein Straßenname in Spanien völlig idiotisch“, argumentiert Wozniak.

Wegen des Vergnügungsboulevards Ballermann ist Mallorca vor allem als Partyinsel bekannt. Sie ist begehrt bei jungen Leuten, die billig in die Sonne fliegen, Party machen, viel Alkohol trinken und teilweise nicht einmal ein Hotel buchen, schrieb kürzlich auch der Spiegel. Er berichtet von Vorfällen, in denen sich deutsche Touristen betrunken daneben benommen und manchmal sogar Gewalt- oder Sittlichkeitsdelikte begangen haben. Wozniak: „Jedes Jahr stürzen auch mehrere Balkone ein, manchmal mit Todesfolge. Die Hotels rund um den Ballermann sind seit den 60er/70er Jahren nicht mehr renoviert worden und werden hauptsächlich zum Ausschlafen genutzt.“

Die mallorquinischen Einwohner haben die Belästigung durch die Touristen mehr als satt. Im vergangenen Sommer protestierten sie mehrfach gegen den Massentourismus. Auch deutsche Touristen hatten darunter zu leiden. Demonstranten besetzten den Strand in der Nähe des Ballermanns mit Schildern wie „Hey Deutsche, zu sagen, Mallorca sei euer siebzehntes Bundesland, ist eine Beleidigung!“. Laut Wozniak ist das Verhältnis zwischen Einwohnern und Deutschen vor allem durch die Vorkommnisse der letzten Jahre geprägt, in denen sich Gruppen von Deutschen daneben benommen haben. „Aber die Inselbewohner finden es auch ärgerlich, dass zum Beispiel Deutsche Häuser auf der Insel kaufen, während sie selbst kein Haus bekommen.“

Andererseits ist Mallorca auch wirtschaftlich vom Tourismus abhängig, sagt Wozniak. „Fast 30 Prozent der Einnahmen der Insel kommen von Deutschen, mindestens 5 Milliarden Euro im Jahr. Darauf kann die Insel wirklich nicht verzichten.“

Die Liebe der Deutschen zu Mallorca ist grenzenlos, auf Gegenseitigkeit beruht sie nicht, schlussfolgert der Historiker. „Die meisten Mallorquiner tolerieren die Deutschen, aber sie lieben sie nicht“, sagt er.

Quelle: Agenturen